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"...ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen" (Mt 25,35)

Erklärung Jahresthema 2016 Vorstellung
Datum:
Veröffentlicht: 29.5.16
Von:
Klaus-Stefan Krieger

Erklärung des Landesvorstands des KKV Bayern anlässlich des KKV-Hirschberg-Forums vom 26. bis 29. Mai 2016 auf Schloss Hirschberg bei Beilngries

Papst Franziskus hat 2016 zum „Jahr der Barmherzigkeit“ ausgerufen. Das verpflichtet gerade den KKV als katholischen Sozialverband. Barmherzigkeit ist, biblisch verstanden, nicht bloßes Mitgefühl, sondern helfende Tat, so wie Jesus es im Gleichnis vom barmherzigen Samariter deutlich macht. Das Gleichnis verpflichtet uns, dem nahe zu sein, der unsere Hilfe nötig hat. Dabei ist das entscheidende Kriterium die Hilfebedürftigkeit. Wem geholfen wird, darf nicht durch ideologische Vorentscheidungen festgelegt werden, sondern richtet sich nach der akuten Notlage. Dies wird auch im Gleichnis vom Weltgericht gesagt, aus dem das Jahresthema des KKV Bayern zitiert. Dort heißt es u. a.: „Dann werden ihm die Gerechten antworten: (…) Und wann haben wir dich fremd und obdachlos gesehen und aufgenommen, oder nackt und dir Kleidung gegeben? (…) Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,37-40)

Eine akute Not, mit der wir nun schon seit Monaten konfrontiert sind, ist die der großen Zahl von Flüchtlingen, die vor Krieg, Terror und Verfolgung in ihren Heimatländern fliehen. Der KKV Bayern hat sich bereits im Oktober bei seinem Landestreffen dazu geäußert.

Mehr und mehr müssen wir freilich erkennen, dass wir uns von den Ereignissen haben treiben lassen, ohne unser Handeln wirklich von Vernunft geleitet zu hinterfragen. Denn der Druck, den die hohe Zahl an Flüchtlingen an unseren Grenzen – sei es nun vor oder nach der Blockierung der Balkanroute – erzeugt haben, impliziert schon ein erstes – weithin übersehenes – moralisches Problem. Denn bis an unsere Grenzen gelangen nur die Flüchtlinge, die zum einen mehrere tausend Dollar zur Bezahlung von Schleppern aufbringen können und die zum anderen stark genug sind, die Strapazen der Reise zu überstehen. Das sind vor allem junge Männer aus wohlhabenden Familien. Ausgerechnet diejenigen aufzunehmen, die sich am besten durchsetzen konnten, widerspricht dem Gebot der Nächstenliebe und der Pflicht zur Hilfeleistung. Das Kriterium der Zuwanderung kann auch nicht das Recht des Stärkeren sein. Wenn wir beobachten, dass vor allem junge Männer zu uns kommen, muss steuernd eingegriffen werden, damit die Schwachen – Kinder, Frauen, Familien – nicht unter die Räder kommen. Ebenso wenig kann kriminellen Schleusern überlassen bleiben, wer nach Europa gelangt und wer nicht. Das ist unter ethischen Gesichtspunkten ein unhaltbarer Zustand.

Weitaus besser wäre es daher, Flüchtlingskontingente festzulegen und dabei besonders Schutzbedürftige zu privilegieren, z.B. verwaiste Kinder, Kranke, Schwangere, alleinstehende Frauen mit Kindern oder Familien mit kleinen Kindern. Diese Flüchtlingskontingente sollten in einem geordneten Verfahren aufgenommen und auf sicheren Weg nach Europa gebracht werden. Deshalb bleiben wirksame Grenzkontrollen unabdingbar, da ansonsten bei der Zuwanderung eine Art Sozialdarwinismus die Oberhand über humanitäre Hilfe gewinnt.

Wenn ein Staat oder eine Staatengemeinschaft Menschen in Not aufnimmt, bedeutet dies nicht, das Recht aufzugeben, dass dieser Staat oder diese Gemeinschaft bestimmen darf, wer dauerhaft zuwandern kann und wer nicht. Würde Politik dies deutlicher vermitteln, könnten die diffusen Ängste vieler Bürger sicher gemildert werden.

Dies gilt es auch in die Richtung zu bedenken, dass Nothilfe zuerst und vordringlich bei denen greifen muss, deren Not und Bedrängnis am größten ist. Im Fall der Flüchtlinge sind dies jene religiösen Minderheiten (Jesiden, Christen), die im Nahen Osten von existentieller Vernichtung bedroht sind, die als Gruppe die physische Auslöschung zu gewärtigen haben. Christen sind dabei nicht nur in ihrer Heimat an Leib und Leben bedroht, sondern auch an den unmittelbaren Zufluchtsorten wie in der Türkei nicht wirklich sicher. Angesichts der zunehmenden Zurückhaltung anderer europäischer Staaten, überhaupt Flüchtlinge ins Land zu lassen, erwächst der Bundesrepublik eine besondere Verantwortung, gerade diese hochgradig Gefährdeten vorrangig aufzunehmen.

Dabei ist ferner verstärkt in den Blick zu nehmen, dass für geflohene Christen die Bedrohung nicht automatisch mit der Aufnahme in einem europäischen Rechtsstaat endet. Die Deutschen Bischöfe haben in ihren „Leitsätze des kirchlichen Engagements für Flüchtlinge“ darauf Bezug genommen, dass christliche Flüchtlinge selbst noch in Deutschland von anderen Asylbewerbern diskriminiert und bedroht werden. Erst jüngst sind dazu alarmierende Fakten und Zahlen veröffentlicht worden. Es genügt dann aber nicht, zu fordern, dass die geflüchteten Christen keine Ausgrenzung oder Bedrängung aufgrund ihres Glaubens erfahren dürfen. Gemäß dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter bedarf es vielmehr aktiven Handelns. Wenn Kirche um solche Vorfälle weiß, muss sie die christlichen Asylbewerber aus den Massenunterkünften herausholen und in kirchlichen Räumen unterbringen. Zudem sind vom Staat Konsequenzen für die Täter einzufordern. Wer als Flüchtling in Deutschland Christen bedrängt und verfolgt, hat sein Aufenthaltsrecht verwirkt und muss umgehend abgeschoben werden.

Eine realistische Betrachtung der Fluchtursachen darf auch nicht die Augen davor verschließen, dass diejenigen, die sich aus Angst um Leib und Leben zu uns flüchten, eine Minderheit sind. Viele Zuwanderer – derzeit gerade aus Nordafrika – suchen vor allem bessere wirtschaftliche Lebensbedingungen. Eine ethisch verantwortete Reaktion auf diese Wirtschaftsmigration muss auch an die Auswirkung auf die Herkunftsländer denken. Wandern zu viele junge, gebildete Leistungsträger ab, verliert deren Heimat die Chance auf Entwicklung. Nur den möglichen Vorteil, der uns durch zusätzliche Fachkräfte entstehen könnte, zu sehen, wäre nichts anderes als moderner Kolonialismus.

Daher sollte Kriegsflüchtlingen zwar Aufnahme gewährt werden. Zugleich muss ihnen aber – gerade im Interesse der Herkunftsländer – verdeutlicht werden, dass Asyl ein Recht auf Zeit ist, das erlischt, wenn die Fluchtursachen beseitigt sind, also etwa der Bürgerkrieg in Syrien beendet ist. Flüchtlinge haben im Übrigen auch das Recht, die kriegsgeschädigte Heimat wieder aufzubauen.

Wenn Zuwanderung freilich dauerhaft erfolgt, besteht die Herausforderung darin, die Bildung von Parallelgesellschaften zu verhindern. Plurale Gesellschaften haben das Potential, Gruppen mit unterschiedlichen Kulturen in sich aufzunehmen. Problematisch wird es dann, wenn sich Subkulturen bilden, die diese Pluralität selbst ablehnen. Ihnen gegenüber muss der liberale Rechtsstaat seine Werte- und Rechtsordnung durchsetzen.

Zu dieser Ordnung gehört elementar das Gewaltmonopol des Staates. Voraussetzung für Demokratie und Freiheit – und das sind ja gerade Werte, um deretwillen Verfolgte zu uns fliehen – ist, dass sich alle Bürger ohne Angst in der Öffentlichkeit bewegen können. Dies zu garantieren, ist eine der vornehmsten Aufgaben des Staates. Das gilt nach allen Seiten: gegen spontan sich zusammenrottenden Mob wie gegen rassistische Agitatoren, gegen kriminelle Clans von Migranten wie gegen Neonazis, gegen Gewalttäter wie gegen Volksverhetzer im Internet. Hier ist auch mehr Konsequenz von der Justiz gefragt, die die Strafgesetze ausschöpfen muss, damit die Gesellschaft der Kriminalität beikommen kann. Man kann nicht Zivilcourage fordern, die Bürger aber ansonsten allein lassen.

Die Verpflichtung zu barmherziger Hilfe kann nicht bedeuten, die Wirklichkeit zu beschönigen. Das Evangelium verlangt von uns nicht nur Barmherzigkeit, sondern auch Wahrhaftigkeit und Realitätsbewusstsein. Daher ist gerade bei der Bewältigung der Probleme durch Flucht und Zuwanderung eine sorgfältige ethische Abwägung vonnöten.

Dabei sollte nicht übersehen werden: Die meisten Flüchtlinge suchen zunächst nicht in Europa, sondern in den benachbarten Regionen ihrer Heimat Schutz. Auch ihnen muss ein menschenwürdiges Leben ermöglicht werden. Man darf sich freilich auch hier keinen Illusionen hingeben. Wer meint, dieses Problem zu lösen, indem man etwa der Türkei eine mehrere Milliarden Euro schwere Finanzhilfe gibt, wird sich getäuscht sehen. Die Befürchtung ist nicht unbegründet, dass ein Großteil solcher Gelder in dunklen Kanälen verschwindet. Massiv unterstützt werden müssen vielmehr die Hilfs- und Nichtregierungs-Organisationen, die in den Flüchtlingslagern konkrete Hilfe leisten.