Chancen der technologischen Revolution nutzen und Fehlentwicklungen vorbeugen
Staatssekretär a.D. Dr. Joachim Gottschalk sprach beim KKV-Neujahrsempfang in Dortmund
„Wir dürfen nicht in die Position des Zauberlehrlings geraten, dem die Kontrolle über eine sich verselbstständigende Entwicklung entgleitet, sondern wir müssen bei Wahrnehmung der Chancen der technologischen Revolution für eine sozialadäquate Einhegung von gesellschaftlichen Gefährdungen sorgen.“ Mit diesen Worten appellierte Dr. Hans-Joachim Gottschalk, Staatssekretär a.D., beim Neujahrsempfang des KKV-Bundesverbandes an die Mitglieder des katholischen Sozialverbandes die Entwicklungen in der Arbeitswelt unter den Bedingungen von Industrie 4.0 sorgsam zu analysieren. Dabei sollten sie immer den Menschen als „Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft“ (2. Vatikanisches Konzil, Gaudium et Spes) im Focus haben. Insofern sei es auch symbolträchtig, dass sich der KKV 125 Jahre nach der ersten Sozialenzyklika „Rerum Norvarum“ mit dem Thema Arbeit 4.0 beschäftige.
In seinem Festvortrag erläuterte Dr. Gottschalk zunächst einige Begrifflichkeiten. So verstehe man unter dem Begriff „Industrie 4.0“, aus dem sich dann „Arbeit 4.0“ ableite, die gegenwärtige Stufe der industriellen Entwicklung, die gekennzeichnet sei durch die Verknüpfung von Daten und Maschinen, die sich an die vorausgehenden Stufen Nutzung von Wasserkraft und Elektrizität, Fließbandfertigung und Datenverarbeitung angeschlossen habe. „Die Eigendynamik der neueren Entwicklungen bricht sich Bahn - ob man das will oder nicht“, unterstrich der Referent. Aus anderen Lebensbereichen wie der Medizin wisse man, dass der Mensch letztlich alles, was er könne, auch tun werde, wobei es dann sehr schwer sei, ethische Eingrenzungen durchzusetzen. Umso mehr werde es darum gehen müssen, bei grundsätzlicher Akzeptanz der digitalisierten Welt Fehlentwicklungen zu verhindern.
Unstrittig sei, dass durch die Weiterentwicklung der Datenverarbeitungssysteme und des Maschinenparks eine deutliche auch beschäftigungsintensive Belebung dieses Sektors erfolge einschließlich der Entstehung neuer Berufsbilder. Die sich aufdrängenden Schulungserfordernisse für die Belegschaften würden zudem der "Coaching Industrie" einen Boom bescheren. Hinzu komme, dass die Halbwertzeiten der erlernten Berufe durch die neuen Technologien sinken würden. Eine passgenaue Antwort sieht Dr. Gottschalk in der weiteren Beschäftigung älterer Arbeitnehmer und verstärkter Frauenbeschäftigung. Das bedeute aber im Umkehrschluss, dass die verstärkte Einbeziehung der Frauen die Tendenzen zu mehr außerfamiliärer Kleinkindbetreuung fördere. Damit komme es zu einer unheiligen Allianz zwischen den arbeitskraftfixierten Industrieverbänden und emanzipatorisch feministischen Bewegungen, die die berufliche Tätigkeit für die einzig zulässige Form weiblicher Selbstverwirklichung hielten.
Gefahr der Selbstausbeutung
Die Autonomie von Zeit und Ort bei der Arbeit, so Gottschalk weiter, verstärkten durch ihre Individualisierungstendenz auch weiter die ohnehin in weiten gesellschaftlichen Bereichen zu beobachtende Bindungsscheu und das Sicheinbringen in Organisationen. Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Sportvereine usw. litten alle darunter, dass die Menschen immer weniger zu diesbezüglichem festem Engagement bereit seien. Die massive Zunahme des Online-Handels verändere nicht nur das Berufsbild des Einzelhändlers, sondern droht auch zu einer Verödung unserer Innenstädte zu führen. Insofern könne man die KKV Aktion "Kauf mal wieder nebenan" nur begrüßen.
Der Vortrag findet sich im Wortlaut unter http://www.kkv-bund.de/referat%20gottschalk%202017.pdf