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Die Armenier standen einem homogenen türkischen Staat im Weg

Prof. Elke Hartmann
Datum:
Veröffentlicht: 16.2.18
Von:
Klaus-Stefan Krieger

Vortrag in Erlangen: Die Ursachen des Völkermords sind eine Bedrohung bis heute

Als „genozidale Politik“ hat Prof. Elke Hartmann den Krieg der Türkei gegen die Kurden in Nordsyrien charakterisiert. Der militärische Überfall verfolge das gleiche Ziel wie der Völkermord an den Armeniern im 1. Weltkrieg: die Kurden als eigenständige Ethnie auszulöschen.

In ihrem Vortrag im Erlanger Pfarrzentrum Herz Jesu zeigte Hartmann detailliert die Zusammenhänge des Genozids von 1915 auf. Bei einem Gang durch die Geschichte schilderte sie, wie die Armenier als Bewohner eines Durchgangslandes zwischen Kleinasien, Nahem Osten und Kaukasus immer wieder zwischen die Fronten verschiedener Mächte gerieten. Ab dem 18. Jahrhundert wurde Armenien zum Kriegsschauplatz zwischen dem nach Süden drängenden Russland und dem schwindenden Osmanischen Reich.

Dass die Armenier mit den Russen paktiert hätten und die Türken sie deshalb bekämpfen mussten, widerlegte Elke Hartmann denn auch als Ausrede. Denn in dem von Russland annektierten östlichen Teil Armeniens betrieb das orthodoxe Zarenreich eine rücksichtslose Russifizierung der Armenier, die eine eigenständige christliche Kirche hatten. Im Osmanischen Reich dagegen durften die Armenier sich selbst verwalten.

Als ebenso abwegig entlarvte die Referentin den Vorwurf der Sezession. Die Armenier seien nach dem Verlust ihrer staatlichen Selbständigkeit 1066 über die Jahrhunderte hinweg durch Vertreibungen, Deportationen und Auswanderungswellen Fremde im eigenen Land geworden. In keiner Region des Osmanischen Reiches stellten sie eine Mehrheit. Sie hatten kein einheitliches Siedlungsgebiet und daher – anders als die Völker auf dem Balkan – keine Option für eine Loslösung.

Die armenischen Eliten setzten deshalb auf eine Modernisierung des Osmanischen Reiches, durch die sie sich eine Verbesserung der Lebensverhältnisse erhofften, führte Hartmann aus. Die armenischen Reformer kooperierten darum mit den Jungtürken. Sie erstrebten eine Verfassung, die den Armeniern eine gewisse Autonomie garantieren sollte. Sie wollten also ein pluralistisches Osmanisches Reich mit Dezentralisierung und Völkervielfalt. Dabei erstrebten sie die Integration der Christen, etwa durch ihre Aufnahme in die Armee.

Dadurch gerieten die armenischen Reformer in Gegensatz zu den türkischen Jungtürken. Diese votierten für ein türkisches muslimisches Osmanisches Reich. Die Armenier wurden dann, so Hartmanns Fazit, Opfer des Genozids, weil sie loyale Osmanen waren, aber keinen türkischen Staat wollten.

„In derselben Situation befinden sich heute die Kurden“, schlussfolgerte die Referentin. Schon seit dem Entstehen der Türkei „werden die Kurden als eigenes Volk wegdefiniert“. Kurdisch ist verboten. Die militärischen Invasionen der Türkei in den Irak und derzeit in Syrien dienten dazu, eine kurdische Autonomie zu verhindern. Das Erdogan-Regime provoziere jetzt eine kriegerische Situation, um erneut Völkermord zu begehen. Allerdings, so Hartmanns Einschätzung, werde er an den Kurden nicht gelingen, da diese zahlenmäßig stärker als die Armenier und militärisch wehrhaft seien.

Ebenso befinde sich der heutige kleine Staat Armenien – hervorgegangen aus der Sowjetrepublik – in der Lage einer existentiellen Bedrohung. Er sei einer permanenten Blockade und Kriegsdrohung durch die Türkei ausgesetzt. Daher wanderten viele, vor allem junge Armenier aus, was wiederum den Bestand des Staates bedrohe.

Die Geschichts- und Islamwissenschaftlerin Prof. Dr. Elke Hartmann lehrt derzeit an der Universität Bamberg als Gastprofessorin „Kulturgeschichte des Vorderen Orients“. Veranstalter des Vortrags waren die Hajastan-Armenienhilfe, die Katholische Erwachsenenbildung Erlangen und der KKV Bayern Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung.