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Die wahre Zumutung

Kuppel des Berliner Stadtschlosses
Datum:
Veröffentlicht: 2.1.23
Von:
Klaus-Stefan Krieger

Anmerkungen zur Diskussion um die Bibelzitate am Berliner Stadtschloss

Da der Kommentar des Landesvorsitzenden für die Veröffentlichung im KKV Bayern Report 4/2022 stark gekürzt werden musste, können Sie hier den vollständigen Text lesen.

Ohne Herkunft keine Zukunft. Dieses Diktum bringt zum Ausdruck, dass sich ohne Wissen um die historischen Wurzeln Gesellschaft nicht erfolgreich gestalten lässt. Regieren kann man gleichwohl auch ohne die Kenntnis politischer und geistesgeschichtlicher Zusammenhänge. Das zeigt die neuerliche Diskussion um das Berliner Stadtschloss. Kulturstaatsministerin Claudia Roth propagiert die Überblendung der Bibelzitate an der Kuppel. Begründung: Die Bibelverse, einst von Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) zusammengesetzt, stünden für den Machtanspruch des Königtums und passten nicht zu dem „weltoffenen Haus“ mit seinen völkerkundlichen Sammlungen. Roths Sprecher gebärdete sich noch radikaler: „Am Ende kann es nur die Lösung geben, dass der Spruch wieder wegkommt.“

Nur: Wer so denkt, hätte das ganze Schloss nicht wieder aufbauen dürfen. Drückt sich „die Selbstüberhöhung der Hohenzollern“ doch in der gesamten Architektur aus. Nach grüner Logik müsste somit das ganze Haus wieder weggerissen werden.

Zweifellos richtete sich das pointierte „Gottesgnadentum“ Friedrich Wilhelms gegen die Freiheitsbestrebungen des Bürgertums. Religiös intolerant war es aber gerade nicht, suchte der König doch – ganz anders als später Bismarck und die Wilhelminen mit dem Krieg von 1866 und der als „Kulturkampf“ verharmlosten Verfolgung – die Versöhnung sogar mit den Katholiken.

Von diesen Zusammenhängen wissen die Kulturpolitiker allerdings nichts. Besonders auffällig ist dies, wenn man nach den konkreten Texten fragt, die auf der Kuppel umlaufen.

Die Inschrift kombiniert nämlich zwei Bibelverse. Der erste Teil stammt aus der Apostelgeschichte. Petrus und Johannes heilen im Jerusalemer Tempel „im Namen Jesu Christi“ einen Gelähmten. Da Petrus danach eine Rede über ihren Glauben hält, werden sie verhaftet. Am nächsten Morgen holt der Hohe Rat (die lokale politische Autorität) sie zum Verhör. Darin sagt Petrus: „Und in keinem anderen (als Jesus) ist das Heil. Denn es ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, in dem wir gerettet werden.“ (Apg 4,12) Darauf befiehlt der Hohe Rat den Aposteln, nicht mehr im Namen Jesu zu lehren. Dies weisen sie zurück: „Ob es gerecht ist, auf euch mehr zu hören als auf Gott, beurteilt selbst!“ (Apg 4,19).

Der zweite Teil stammt aus dem Brief an die Philipper. Paulus zitiert dort einen Hymnus, der die Selbsterniedrigung Jesu Christi besingt: Er war Gott gleich, wurde jedoch ein Knecht, den Menschen gleich, und war gehorsam bis in den Tod am Kreuz. „Deshalb auch erhöhte ihn Gott über alle Maßen und schenkte ihm den Namen über allen Namen, damit im Namen Jesu jedes Knie sich beuge – der Himmlischen und der Irdischen und der Unterirdischen – und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus der Herr ist zur Ehre Gottes, des Vaters.“ (Phil 2,9-11). Paulus schreibt diese Zeilen in Haft. Auch seine Adressaten, die Christen in Philippi, werden offenbar bedrängt.

Beide Texte sind also Worte von Unterdrückten und Verfolgten. Sie sind keine Machtdemonstration. Ganz im Gegenteil: Sie bestehen darauf, dass die weltlichen Autoritäten, die befehlen, verfolgen und inhaftieren können, nicht die wahren Herren sind. Auch diese Herrscher müssen sich beugen und verantworten vor Jesus, den Gott gerade wegen seiner Selbstverleugnung zur letztentscheidenden Instanz erhoben hat.

Aber vielleicht stößt die Inschrift ja gerade deswegen auf Widerstand. Friedrich Wilhelms Selbstüberhöhung gründete in seinem Gottesgnadentum, also in der Überzeugung, nur Gott verantwortlich zu sein, keinesfalls einer von den Bürgern gewählten Volksvertretung (weshalb er auch die vom Paulskirchenparlament angebotene Kaiserkrone ablehnte). Die Selbstüberhebung heutiger Politiker rührt daher, einen Gott über sich abzulehnen. Die Vorstellung, dass auch sie die Knie beugen müssten vor einem Höheren, empfinden sie als Majestätsbeleidigung. Im Gegenteil, sie treten mit dem Anspruch auf, alles bestimmen zu dürfen – selbst wie wir uns fortzubewegen, was wir zu essen und wie wir zu sprechen haben. Nicht weniger absolutistisch wie die ihnen verhassten Fürsten von einst. Dass auch sie sich vor einer höheren Instanz zu verantworten haben – wie immer man diese fasst (der Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde sprach von „den Voraussetzungen, die er – der Staat – selbst nicht garantieren kann“) – das ist offenkundig die wahre Zumutung der Bibeltexte auf der Schlosskuppel.

Dabei wäre Demut angebracht. Bedeuten die gegenwärtigen Krisen doch für jeden Politiker eine Überforderung.

Geradezu listig, da auf den ersten Blick nicht erkennbar, ist die Inschrift aus Berlin sogar ein Weihnachtstext. Denn die Weihnachtsevangelien sagen: In der Heiligen Nacht wird der wahre König geboren. Doch der ist kein mordender Herodes und kein den Weltkreis unterjochender Augustus. Sondern ein hilfloses Baby, zur Welt gekommen in elenden Verhältnissen. Aber mit dem Versprechen, „allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes, und unsere Schritte zu lenken auf den Weg des Friedens.“ (Lk 1,79)

Nachtrag: Ein bedenklicher Trend

Was die Diskussion um den Text an der Kuppel des Berliner Stadtschlosses bedenklich macht, ist freilich auch, dass sie kein isolierter Vorgang ist. Nahezu zeitgleich wurde für das G7-Gipfeltreffen das Friedenskreuz im Rathaussaal von Münster abgehängt. Auch dafür wurde die ähnliche Begründung bemüht, „dass Menschen mit unterschiedlichem religiösen Hintergrund an dem Treffen teilnehmen würden“. Von den G7-Staaten ist allerdings Japan das einzige ohne explizit christliche Tradition. Doch das Land der aufgehenden Sonne ist schon lange ein Verbündeter der westlichen Staaten; Japaner bereisen fleißig Europa und pflegen wirtschaftliche Beziehungen. Sie werden beim Anblick eines Kreuzes kaum in Schockstarre verfallen.

In der öffentlichen Wahrnehmung nahezu unbeachtet blieb, dass die Regierungsfraktionen im Bundestag die Möglichkeit zur freiwilligen Eintragung der Religionszugehörigkeit ins Personenstandsregister abgeschafft haben. Dass es hier um eine Verwaltungsvereinfachung gehe, entlarvt sich als durchsichtiger Vorwand. Hat der Gesetzgeber doch andere Eintragungspflichten (Geschlechtsidentität, Namenswahl) zunehmend verkompliziert.

Die Häufung dieser Ereignisse und Diskussionen lässt wohl eher darauf schließen, dass jene, die in Debatten über die Bedeutung von Religion in der Gesellschaft gerne mit dem Vorwurf der Islamophobie um sich werfen, selber vor allem christophob sind. Ein Begriff, der so wohl noch zu prägen ist, aber treffend eine zunehmende Haltung beschreibt, die es sogar in den Koalitionsvertrag geschafft hat.