Digitale Techniken dürfen Zuwendung und Entscheidungsfreiheit nicht ersetzen
KKV-Delegiertenversammlung vom 16. März 2019 äußert sich zur Digitalisierung im Gesundheitswesen
„Der Mensch ist mehr als die Summe diagnostisch erzielbarer Daten. Daher muss letztlich immer ein Mensch auf den Menschen schauen.“ Diese Forderung hat die Delegiertenversammlung des KKV Landesverbandes Bayern Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung am 16. März in Nürnberg erhoben. In einer Stellungnahme zur Digitalisierung im Gesundheitswesen benennt sie als Kriterium für eine Beurteilung von Innovationen die personale Würde des Menschen.
Der KKV Bayern würdigt anerkennend die positiven Möglichkeiten, welche digitale Techniken der Medizin oder der Pflege eröffnen. Sie dürften aber „menschliche Zuwendung nicht ablösen und die Entscheidungsfreiheit des Menschen nicht aushebeln“. So könne die zentrale Sammlung der Gesundheitsdaten eines Patienten und deren computergestützte Auswertung durchaus von Vorteil für eine Diagnose sein, die alle Umstände umfassend berücksichtigt. Abzulehnen sei es aber, „wenn der Computer die Therapie festlegt, ohne dass ein Arzt sich ein abschließendes Urteil bildet“.
Der KKV Bayern hat sich seit einem Jahr intensiv mit dem Thema Digitalisierung auseinandergesetzt und dabei als ein Beispiel deren Bedeutung für das Gesundheitswesen diskutiert. Die Stellungnahme der Delegiertenversammlung hat den Wortlaut:
Digitale Techniken dürfen im Gesundheitswesen Zuwendung und Entscheidungsfreiheit nicht ersetzen
Stellungnahme der Delegiertenversammlung des KKV Landesverbandes Bayern Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung am 16. März 2019 in Nürnberg
Seit zwei, drei Jahren beherrscht Digitalisierung als Schlagwort die öffentliche Debatte. Dabei werden unter Digitalisierung ganz unterschiedliche Phänomene diskutiert: von der Ausweitung der Kommunikationsmöglichkeiten mittels digitaler Medien über die Analyse großer Datenmengen (Big Data) und die Verknüpfung digitaler Information mit physischen Gegenständen und Vorgängen (Internet der Dinge) bis zu Robotik und Künstlicher Intelligenz. Gleichzeitig sind von diesen Entwicklungen die unterschiedlichsten Lebensbereiche betroffen.
Der KKV hat sich in den vergangenen Monaten beispielhaft mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen befasst. Hier lassen sich ethische Fragen gut formulieren, da Gesundheit und Krankheit, Vorsorge, Medizin und Pflege im Alltag der meisten Menschen eine wesentliche Rolle spielen und mit konkreten Erfahrungen verbunden sind.
Dabei zeigt auch das Gesundheitswesen, dass Digitalisierung ganz unterschiedliche Aspekte und Wirkungen hat:
- Häufig und kontrovers diskutiert wird der Pflegeroboter. Diese Maschinen können pflegerische (Hilfs-)Tätigkeiten wie Heben, Essenausgabe, Medikamentenverteilung etc. übernehmen. Tendenziell kann ihnen ein immer menschenähnlicheres Aussehen verliehen werden, zumal ihnen Spracherkennung und -ausgabe einprogrammiert werden kann. Pflegeroboter werden einerseits als Chance auf körperliche Entlastung der Pflegekräfte und auf Minderung des Fachkräftemangels gesehen. Andererseits werden sie als Ende menschlicher Pflege abgelehnt.
- Aufmerksamkeit hat auch die sog. „Kuschelrobbe“ auf sich gezogen. Vom Aussehen her ist sie wie ein Plüschtier gestaltet, reagiert aber auch auf Stimmen und Berührung und gibt selber Laute von sich. Eingesetzt wird sie bei Patienten mit Demenzerkrankung, auf die sie beruhigend wirken kann. Auch das Bedürfnis nach Kontakt und Berührung vermag sie zu befriedigen.
- Weit weniger spektakulär, aber in der Praxis hilfreich, sind z.B. mit Sensoren ausgestattete Fußböden, die etwa melden, wenn der Bewohner eines Pflegeheims in seinem Zimmer stürzt oder aus dem Bett fällt. Vorstellbar ist natürlich auch die Kameraüberwachung von Patientenzimmern.
- Fast selbstverständlich zum Alltag gehören für viele Menschen bereits Diagnosearmbänder (Smartwatch, Activity Tracker), die Schrittzahl, Herzfrequenz, Pulsschlag, Schlafphasen und Blutdruck messen. Sie lassen sich auch bei der Behandlung und Betreuung von Patienten und Pflegebedürftigen einsetzen. Bei diesem Personenkreis setzt man auch Pflaster mit Sensoren ein.
- Telemedizin ermöglicht Ferndiagnosen via Bildschirm. Sie erspart dem Arzt zeitraubende und dem Patienten beschwerliche Wege. Insbesondere im ländlichen Raum erhofft man sich von Telemedizin einen Ausgleich zur sinkenden Zahl von Arztpraxen.
- Die auf digitalem Weg gesammelten Daten erlauben auch eine bessere Auswertung. Vorstellbar ist, dass sämtliche Gesundheitsdaten eines Patienten an einer Stelle zusammenlaufen. Dabei könnten auch Vorerkrankungen, bereits gestellte Diagnosen, verschriebene Medikamente erfasst werden. Die Sammlung der Daten erlaubt Diagnosen, die ein einzelner Arzt nicht stellen kann. Darüber hinaus könnte der Computer bereits Therapievorschläge errechnen. Die elektronische Gesundheitskarte war ein Plan zur praktischen Umsetzung solcher Ideen.
Zur Bewertung solcher Möglichkeiten reicht die Frage, ob sie auch tatsächlich umsetzbar sind, nicht hin. Auch die mehrheitliche Akzeptanz in der Bevölkerung reicht als Kriterium nicht aus.
Eine ethische Bewertung ist zunächst einmal eine Güterabwägung. So steht die sensorgestützte Überwachung eines Patienten im Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit, von Fürsorge und Selbstbestimmung. Gibt es ein Recht, die Kontrolle zu verweigern? Ist also das Recht auf Selbstbestimmung höher zu gewichten? Oder endet es spätestens da, wo ich andere gefährde? Oder schon dann, wenn ich mich selbst gefährde und mir dessen nicht bewusst bin?
Gegen die Kuschelrobbe könnte man einwenden, dass sie Kommunikation, Begegnung und Nähe nur vortäuscht. Zu ihren Gunsten lässt sich anführen, dass sie Bedürfnisse erfüllt, die – in der analogen Welt – auch Plüsch- und Haustiere erfüllen.
Zentral muss der Blick auf den Menschen, auf das Wesen des Menschen sein. Der Mensch ist mehr als die Summe diagnostisch erzielbarer Daten. Er hat eine unverlierbare personale Würde. Daher muss letztlich immer ein Mensch auf den Menschen schauen.
Digitalisierung ist abzulehnen
- wenn der Roboter mit echten Menschen verwechselbar wird und nicht mehr als Maschine kenntlich ist
- wenn zwischenmenschliche Kommunikation vollständig ersetzt wird
- wenn Maschinen über den Menschen entscheiden, wenn etwa der Computer die Therapie festlegt, ohne dass ein Arzt sich ein abschließendes Urteil bildet
- wenn der Mensch zur Passivität verurteilt wird und seine Talente nicht mehr entfalten kann.
Digitale Techniken dürfen menschliche Zuwendung nicht ablösen und die Entscheidungsfreiheit des Menschen nicht aushebeln.