In Vietnam scheiterte die Mission

Prof. Heiner Bielefeldt, früherer UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit, sprach beim KKV Erlangen
Gewöhnlich wird der Begriff ja abwertend gebraucht: Doch ein Lob des „Hinterzimmers“ sang Prof. Heiner Bielefeldt bei seinem Vortrag über Menschrechtspolitik bei den Vereinten Nationen. Gerade noch rechtzeitig vor der nächsten Lockdown-Verschärfung fand er in Präsenz beim KKV Erlangen im Pfarrzentrum St. Sebald statt.
Von 2010 bis 2016 war Heiner Bielefeldt UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Daher war er oft in Genf am zweiten Hauptsitz der Vereinten Nationen. Dort sind Menschenrechtsrat, Hochkommissariat für Menschenrechte und Hochkommissariat für Flüchtlinge angesiedelt.
Innovativ im Hinterzimmer
Plastisch schilderte Bielefeldt, wie im Völkerbundpalast aus den 1920er Jahren alle 196 Staaten der Welt im Plenum versammelt sind – die Sitzordnung dem Alphabet der französischen Ländernamen folgend. Auch Nichtregierungsorganisationen (NGO) sind vertreten und haben Rederecht. Daher darf jeder Delegierte in der Diskussion nur zwei Minuten sprechen. „Das ist nicht spannend, denn die Botschaften sind sehr erwartbar“, berichtet Bielefeldt.
Umso wichtiger seien die „private sessions“, die inoffiziellen Gesprächsrunden – nicht nur in den anzumietenden Konferenzzimmern, sondern oft in der Cafeteria. Oder die Einladungen in die „Ständigen Vertretungen“. So seien die westlichen Staaten bei Frühstückstreffen in Kanadas Botschaft zusammengekommen, aber auch Marokko und Pakistan zählten zu den Gästen.
Bei diesen Gesprächen, so Bielefeldt, werden Positionen ausgehandelt und Resolutionen vorbereitet. „Das ist nicht die Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners; es wird viel experimentiert.“ Die NGO hätten „riesige Möglichkeiten“. Da die UNO nicht viele eigenen Experten beschäftige, werde die „zivilgesellschaftliche Expertise“ ernstgenommen. Auf diese Weise sei etwa die Behindertenrechtscharta entstanden.
Heikle Gesprächsreisen
Zu den Aufgaben Bielefeldts als Berichterstatter, eine ehrenamtliche Tätigkeit, gehörten „field missions“, Inspektionsreisen, die in offizielle Berichte münden. Solche Reisen können freilich nur in Absprache mit den Botschaften erfolgen. So habe China erfolgreich immer wieder verzögert, dass Bielefeldt das Land besuchen konnte.
Lebhaft erzählte der Lehrstuhlinhaber an der Universität Erlangen-Nürnberg von überraschenden Erlebnissen. In Bangladesch sei ausgerechnet in einem Hindutempel auf einmal eine alte Frau nach der andern aufgestanden, um das Los der Hindu-Witwen zu beklagen; völlig mittellos müssen sie nach dem Tod des Mannes in ihre frühere Familie zurückkehren. Die Frauen forderten statt des dort geltenden religiösen ein ziviles Familienrecht.
In Vietnam sei die Mission systematisch, teils auffällig von Geheimdienst und Sicherheitsbehörden beobachtet worden. Bielefeldt musste sich mit Gesprächspartnern in belebten Kaufhaus-Cafés treffen. Ein Austausch mit buddhistischen Mönchen kam – nach einer abenteuerlichen Fahrt durch endlose Gassen mit mehreren Fahrzeugwechseln – in einem heruntergekommenen Hotel zustande. Mit Angehörigen verfolgter Minderheiten – Vietnam unterdrückt jedes unabhängige religiöse Leben – konnte Bielefeldt teils nur im Ausland sprechen. Dabei mussten sich Flüchtlinge vor Flüchtlingen verstecken, denn „überall gibt es Spitzel“. Ähnlich wie in China infiltriere der Staat alle Gruppen.
„Als wir uns nicht einschüchtern ließen, haben die Organe unsere Gesprächspartner abgefangen“, berichtete Bielefeldt. Daher habe er die Mission aus Sicherheitsgründen abgebrochen. „Denn oberste Prämisse ist: Man darf seine Gesprächspartner nicht gefährden.“ Allerdings habe er die Abreise publikumswirksam auf einer Pressekonferenz bekannt gegeben.
Indirekte Wirkung
Welchen Effekt haben die Missionen dann? „Konsequenzen haben die Berichte unmittelbar nicht“, räumt Bielefeldt ein. Lokale Akteure könnten sich ermutigt fühlen. Für viele Staaten gehe es aber ums Image. Sie müssen ein Monitoring durchlaufen. Dass die Staaten von ihnen unterzeichnete Konventionen und Chartas einhielten, wirke sich günstig aus auf wirtschaftliche oder wissenschaftliche Kontakte.
Die Corona-Pandemie hat daher für die Menschenrechte gravierende Auswirkungen. Missionen finden nicht statt, die Kontakte sind weniger eng. „Von der Demokratiebewegung in Hongkong hört man nichts mehr“, beklagt Bielefeldt. „Corona kam China zugute.“ Manche Diktaturen wie Weißrussland nutzten das Virus als „chemische Waffe“, indem sie inhaftierten Oppositionellen Hygienemaßnahmen verweigerten.
Einen Erfolg konnte Bielefeldt zum Glück auch berichten. Auf Zypern habe seine Inspektionsreise die Begegnung zwischen den höchsten Vertretern der Griechisch-Orthodoxen und den Muslimen ermöglicht. Darauf hin konnte der Bischof erstmals den türkischen Norden und der Mufti den griechischen Süden besuchen. Eine Initiative Jugendlicher entstand, die im Norden Kirchen wiederherstellten und im Süden Moscheen renovierten.