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In der Wissensgesellschaft hängt der Wohlstand von der Kultur der Zusammenarbeit ab. Das birgt eine völlig neue Chance, das Evangelium in die Welt zu tragen.

Datum:
Veröffentlicht: 10.9.14
Von:
Erik Händeler

Anmerkungen zu „Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft“ – eine Stimme aus dem KKV

Das Papier übersieht den Strukturwandel hin zu immaterieller Gedankenarbeit. Bei Kühlschränken und Autos gibt es Grenzen des Wachstums (Seite 22), nicht aber bei einer Wirtschaft, die in den gedachten Raum hinein ins Unendliche wächst: Planen, Organisieren, Neues entwickeln, analysieren und entscheiden, jemanden im Stil und beim Kleiderkauf beraten, einen Sachverhalt verständlich darstellen, recherchieren. Wenn wir für Soziales, Bildung und Infrastruktur weiter genug Ressourcen haben wollen, benötigen wir kein anderes Wirtschaftssystem, sondern Unternehmen und Menschen, die die Wertschöpfung im gedachten Raum erschließen.

An der Wirklichkeit vorbei geht die Vorstellung, dass die Arbeit weniger wird und unbezahlte Bürgerarbeit bezahlte Tätigkeit ersetze: Nachdem Elektronik uns die meiste industrielle Arbeit abgenommen hat, geht uns nicht die Arbeit aus – denn Arbeit ist, Probleme zu lösen; und weil wir immer Probleme haben werden, wird uns auch die bezahlte Arbeit nicht ausgehen. Arbeit ist eben nicht mehr, direkt auf die materielle Welt einzuwirken, sondern Wissensarbeit zu leisten: verstehen, was der Kunde meint; einen Fehler an der Maschine finden; einen Artikel recherchieren. Gemeinsame Verantwortung für die Zukunft heißt daher, den Strukturwandel hin zu einer ausreichend produktiven, immateriellen Arbeit zu gestalten, um über ausreichend Ressourcen für Soziales, Bildung und Infrastruktur zu verfügen. Früher haben wir mit Maschinen die materiellen Prozesse verbessert und so den Wohlstand gesteigert; heute ist der größte Teil der Wertschöpfung Gedankenarbeit, deren Produktivität nicht denselben Gesetzen folgt wie an der Stanzmaschine (in einer Stunde soundso viele Teile gestanzt). Ein Techniker kann nach zwei Minuten die Lösung gefunden haben, oder aber nach Stunden vor dem Nichts stehen.

Da der Einzelne die Wissensflut nicht mehr überblicken kann, sind wir zunehmend auf das Wissen anderer angewiesen. Auf einmal wird jeder wichtig für den Gesamterfolg. Der einzige, aber in Zukunft entscheidende Standortunterschied wird in der Wissensgesellschaft sein: Die Fähigkeit, Wissen anzuwenden. Doch Umgang mit Wissen ist immer auch Umgang mit anderen Menschen, die wir unterschiedlich gut kennen, unterschiedlich gerne mögen und mit denen wir unterschiedlich viele berechtigte Interessensgegensätze haben. Die Reibungsverluste oder aber das Funktionieren der Zusammenarbeit entscheiden den Wettbewerb. Das ist weniger eine Frage von Organisation und Fachwissen als vielmehr eine Frage, wie weit der einzelne seinen Verantwortungsbereich definiert. Dieses neue Paradigma verändert die Verhaltensmuster im Betrieb, die Hierarchien und den Umgang auf derselben Augenhöhe.

Wenn man dann einen Blick auf vergangene Strukturzyklen wirft, in denen Dampfmaschine oder das Auto die Wirtschaft antrieben, wird klar: Immer waren es zu bestimmten Zeiten bestimmte Erfolgsmuster, die die Produktivität und den Wohlstand bestimmten. Auch diesmal, wenn der Computer unsere Arbeit nicht mehr wie bisher jedes Jahr im gewohnten Maße produktiver macht, wird es wieder ein klares Muster für Wohlstand geben, das in der Theorie die Ethik des Evangeliums ist: etwa auch dann noch weiter zusammenzuarbeiten, wenn man sich gestritten hat; einen wahrhaftigen Umgang statt einem nutzenorientierten Umgang; die Demut, sich zurückzunehmen, wenn die eigene Kompetenz gerade nicht gebraucht wird. Wohlstand in der Wissensgesellschaft hängt von seelischer Gesundheit ab, von Demut, Humor und Vergebungsbereitschaft, von der Fähigkeit, mit anderen gut zusammenzuarbeiten. Das betrifft die Themen des Glaubens und ist eine neue Chance, das Evangelium in die Gesellschaft zu tragen.

Der Blick des gesamten Papiers auf die Finanzkrise ist so, dass die Banker alle gierig geworden sind und die Finanzmärkte keinen zähmenden Ordnungsrahmen mehr hatten (Seite 24). Dabei war dies nicht Ursache, sondern nur Folge eines realen Vorgangs: Der Computer hatte zuvor Jahrzehntelang die Kosten gesenkt und so die Wirtschaft angetrieben, nun hatte er sich weitestgehend ausgebreitet, es gab kaum noch etwas, wofür es sich lohnte, zu investieren; deswegen sank die Nachfrage nach Krediten, die Zinsen sanken so tief, dass das Geld hauptsächlich in die Spekulation fließt. Demnach kamen die Finanzmärkte in Schwung, weil es im realen Leben eben nichts mehr gab, wofür es sich lohnte, rentabel zu investieren (s. Artikel SZ, Die Bank). Dasselbe passierte 1873 beim Gründerkrach, nachdem die meisten Gewerbezentren mit einer Eisenbahn vernetzt waren, oder 1929, nachdem das technologische Netz rund um den elektrischen Strom fertig investiert war. Hätte es jetzt rentabel neue Investitionen gegeben, die die Zinsen hochgetrieben hätten, dann wären Kredite nicht verantwortungslos vergeben worden, die Südeuropäer hätten sich nicht überschuldet und kein prekärer US-Amerikaner hätte einen Kredit für sein Haus bekommen. Was an den Finanzmärkten passierte, hatte nichts mit bösen Menschen und gierigen Bankern zu tun, sondern war die Folge eines zu ende investierten Strukturzyklus.

Die Lösung liegt daher vor allem in einer besseren Arbeitskultur, in der weniger Reibungsverluste durch destruktiven Streit, Machtkämpfe und Mobbing entstehen, sondern mit konstruktiver Streitkultur, transparenten Ringen um bessere Lösungen und fairer Auseinandersetzung Wissen effizienter genutzt werden kann. Dann sind auch die Ressourcen vorhanden, die Staatsfinanzen zu konsolidieren (Seite 27). Auch die Beteiligung der prekären Schichten an der Erwerbsarbeit, die von technischen Revolution freigesetzt wurden, erfolgt über eine höhere Produktivität der Volkswirtschaft: Dann sind genug Ressourcen da, auch weniger qualifizierte zu beschäftigen. Wenn sich jeder eine halbe Stufe höher qualifiziert, werden am unteren Bereich die Stellen frei, auf der geringqualifizierte den Einstieg in die Arbeitswelt finden. Verantwortung heißt, den Blick darauf zu richten, dass Wohlstand und Arbeitsplätze keine Einzelleistung  mehr ist, sondern eine systemische: Drei Mittelmäßige Leute die gut zusammenarbeiten, sind bedeutend produktiver als ein Hochqualifizierter, bei dem es aber nicht gelingt, die Ergebnisse der Arbeitsteilung zusammenzuführen.

Auch das Kapitel zum demographischen Wandel geht rein von der Zahl Älterer aus und tut so, als sei der 60jährige des Jahres 2030 mit dem 60jährigen des Jahres 1990 zu vergleichen. Deutschland besteht übrigens nicht aus Dachdeckern. Der demografische Wandel ist kein Umverteilungsproblem, sondern ein Problem des Wandels von Arbeitsstrukturen hin zur Wissensarbeit: Als Übersetzer und Gutachter kann man noch mit 75 Jahren gute Arbeit leisten, wenn auch bei weniger Druck und Stundenzahl. Wir müssen die Arbeitswelt so ändern, dass wir im Beruf gesund alt werden können. Wir werden weniger arbeiten, um länger zu arbeiten. Bisher wurde man nur nach oben befördert oder in Rente geschickt – in Zukunft werden wir als Älterer zwei Stufen tiefer als bisher dem neuen Chef zuarbeiten. Wir brauchen die Fünf-Stunden-Schicht in der Produktion ab 58 Jahren; wir müssen mit den negativen Altersbildern im Kopf aufräumen, die die Leute weniger leisten lässt; wir müssen ihnen alle drei Jahre neue Herausforderungen geben, damit sie nicht einrosten. Wir müssen ein präventives Gesundheitssystem aufbauen, in dem die Akteure das Geld der Krankenkassen auch mit der Gesunderhaltung der Gesunden verdient, und über seelische Gesundheit reden – ein innerhalb der Kirche ebenso verschlafenes Thema wie die neuen strukturellen Erfolgsmuster Wissensgesellschaft, die neue Chancen eröffnen, das Evangelium in die öffentliche Auseinandersetzung zu bringen.

Der KKV - Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung versucht, diesen Wandel hin zur Wissensarbeit zu beschleunigen und darin die Stimme des Evangeliums hörbar zu machen, u.a. auf der begonnenen Webseite www.neuearbeitskultur.de .

Erik Händeler, u.a. stellv. Landesvorsitzender KKV Bayern