Mensch bleiben in der Arbeitswelt
Erklärung der Delegiertenversammlung 2017 des KKV Bayern
Als vor 125 Jahren „Rerum novarum“, die erste Sozialenzyklika, erschien, reagierte Papst Leo XIII. auf eine revolutionäre Entwicklung: Die Industrialisierung hatte die Arbeitswelt grundlegend verändert und mit ihr die gesamte Gesellschaft.
Heute erleben wir eine ähnlich grundstürzende Umwandlung der Arbeitswelt. Sie lässt sich mit den Schlagworten Globalisierung, Digitalisierung und Deregulierung beschreiben. Dabei ist jede dieser Entwicklungen mit den anderen verwoben.
Gleichwohl gilt heute wie damals die grundlegende Aussage, die Papst Johannes Paul II. 1981 in seiner Enzyklika „Laborem exercens“ gemacht hat: „So wahr es ist, dass der Mensch zur Arbeit bestimmt und berufen ist, so ist doch in erster Linie die Arbeit für den Menschen da und nicht der Mensch für die Arbeit. (…) Maßstab für jedwede Arbeit ist die Würde ihres Subjekts, das ist der Person des Menschen, der sie verrichtet. (…) Ziel der Arbeit, und zwar jedweder Arbeit, (…) bleibt letztendlich doch immer der Mensch selbst.“ Egal wie die Arbeitswelt sich entwickelt, ist sie daran zu messen, ob sie der Entwicklung des Menschen dient und ob sie seiner Menschenwürde gerecht wird.
Unter dieser Prämisse weist der KKV Bayern auf drei Problematiken hin:
Dank der modernen elektronischen Kommunikationsmittel ist heute jeder Berufstätige zu jeder Zeit an jedem Ort der Welt für berufliche Belange erreichbar. Das ermöglicht zum einen die schnelle Reaktion auf Herausforderungen, insbesondere wenn sie unvermittelt auftreten, und vereinfacht Abstimmungsprozesse. Die ständige Verfügbarkeit setzt Berufstätige aber auch unter Stress und einen – teils auch selbst erzeugten – hohen Erwartungsdruck. Dieses Problem erfordert zum einen verstärkte innerbetriebliche Regelungen der Kommunikation, etwa der Nutzung der Mobiltelefonie (z.B. durch Betriebsvereinbarungen). Zum anderen ist die Eigenverantwortung und Selbstdisziplin der Berufstätigen gefordert. In Zeiten ständiger Erreichbarkeit muss sich eine neue Höflichkeit entwickeln, die auch ohne fixierte Regeln nahelegt, wann und auf welchem Weg man wen mit beruflichen Belangen behelligt.
Die zunehmende Digitalisierung macht aber auch die Arbeit selbst immer unabhängiger davon, dass sie an einem bestimmten Ort ausgeübt wird (Büro, Verkaufsladen). Dies bringt neue Chancen hervor für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Voraussetzungen für Homeoffice werden in Zukunft häufiger gegeben sein als noch heute. Dies birgt aber auch die Gefahr einer weiteren Entgrenzung der Arbeitszeit. Der Schutz vor Ausbeutung, den die Durchsetzung gesetzlicher Einschränkungen der Arbeitszeit (bis hin zu 8-Stunden-Tag und freiem Wochenende) dem Arbeitnehmer gebracht hat, droht wieder verloren zu gehen. Die Arbeit wird zwar z.B. zu Hause erledigt, ist im Familienalltag zeitlich aber nur schwer zu dosieren. Im schlimmsten Fall verdrängt sie die anderen Vorgänge des Haushaltes und raubt ihnen Aufmerksamkeit. Denn anders als die in vorindustrieller Zeit in der Familie als Produktionseinheit ausgeübte Arbeit (auf dem Bauernhof, in der Handwerksfamilie), bleibt die Arbeit heute ein Fremdkörper im Familienleben. Gleichzeitig besteht die Gefahr einer schleichenden Lohnsenkung. Da weder eine genaue Kontrolle noch eine genaue Erfassung erfolgt, leistet der Arbeitnehmer, um die gestellten Aufgaben zu erledigen, im Homeoffice letztlich mehr, als arbeitsvertraglich vereinbart und entlohnt wird.
Die internetbasierten sozialen Netzwerke haben in den letzten Jahren zu einer verstärkten Ausbreitung der Sharing Economy geführt. Der Begriff der Sharing Economy (auch „Shared Economy“) bezeichnet das systematische Ausleihen von Gegenständen und gegenseitige Bereitstellen von Gegenständen, Räumen und Ressourcen, insbesondere durch Privatpersonen und Interessengruppen. Die Beteiligten werden mit Hilfe elektronischer Plattformen zusammengebracht. Die zunehmende Professionalisierung der Sharing Economy birgt die Gefahr der Ausbeutung der konkreten Anbieter der angeblich privaten Dienstleistungen oder Produkte durch die Plattformbetreiber (z.B. Uber, Airbnb). Diese profitieren, indem sie Vermittlungsgebühren erheben, lehnen gleichzeitig aber jede Verantwortung für die Anbieter ab. Den konkreten Leistungserbringern bleiben Kündigungsschutz, Mindestlöhne, Arbeitsschutz und Arbeitszeitregeln verwehrt. Sie agieren letztlich als Schein-Selbständige. Auf der anderen Seite ist auch der Nutzer der Dienstleistung ungesichert, da etwa Versicherungsschutz, Haftung und Gewährleistung nicht garantiert sind bzw. unklar ist, wem gegenüber er derartige Ansprüche durchzusetzen kann. Der Gedanke des Leihens wird von den kommerziellen Plattformanbietern missbraucht, um gesetzliche Regeln zu umgehen. Demgegenüber ist auf die Einhaltung von Arbeitnehmer- und Verbraucherschutz zu bestehen.