Soziale Netzwerke und Arbeitswelt drohen Ehrenamt zurückzudrängen

Vortrag von Martin Kastler MdEP a.D. beim KKV in Erlangen
Die Auswirkungen der so genannten sozialen Netzwerke im Internet auf das bürgerschaftliche Engagement seien noch gar nicht untersucht, bedauert der frühere Europaabgeordnete Martin Kastler. Nicht nur bloß junge Menschen, sondern zunehmend auch ältere verbinden sich bevorzugt online – auch um politische Interessen zu bündeln – statt sich in Vereinen zusammenzutun und sich von Angesicht zu Angesicht zu begegnen. Kastler rechnet daher nicht mit einer weiteren Zunahme der Zahl ehrenamtlich tätiger Bürger.
Die einschlägigen Studien im Auftrag der Bundesregierung, aus denen der Politologe und Historiker bei seinem Vortrag in Erlangen zitierte, verzeichneten zwischen 2004 und 2009 eine Steigerung der Engagementquote von 34 auf 36 %. Besonders deutlich sei der Anteil der Ehrenamtlichen an der Gesamtmenge bei jüngeren Senioren (von 31 auf 37 %) und bei den Arbeitslosen (von 37 auf 50 %) ausgefallen. Freilich ist die jüngste Erhebung mehr als fünf Jahre alt.
Kastler hält die Zuwachsraten noch aus einem weiteren Grund für ausgereizt: „Die moderne Arbeitswelt löst stabile soziale Kontakte auf.“ Die berufliche Beanspruchung lasse den Erwerbstätigen immer weniger Freiraum. Darunter litten neben Familie und Freundschaften auch Vereine und Ehrenamt.
Damit verband KKV-Mitglied Kastler zwei Schwerpunkte in der Arbeit des Verbandes der Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung: das Jahresthema 2014/15 „Aktive Bürgergesellschaft – das Ehrenamt stärken“, zu dem er auf Einladung von KKV Bayern und KKV Erlangen sprach, und die Kampagne „Jeder hat ein Recht auf Unerreichbarkeit“.
Hoffnung gibt Kastler, dass Ehrenamtliche nicht nur der Gesellschaft einen Dienst erweisen, sondern auch selbst profitieren, indem sie Kompetenzen erwerben und nach wie vor reale Kontakte knüpfen. Als häufigstes Motiv für ihr Engagement nennen die Freiwilligen, dass sie Freude an der Tätigkeit haben.
Hohe Relevanz genießen laut Kastler immer noch christliche Ideale. Daraus folgerte er die Forderung, dass der Staat die Kirche nicht ans ideologische Gängelband nehmen dürfe. Wer gar wie manche Politiker kirchlichen Einrichtungen staatliche Zuwendungen streichen wolle, riskiere, dass vieles an Ehrenamt dann einfach wegfalle.
„Der Staat muss Ehrenamt so fördern, dass es sich selbst organisieren kann“, formulierte der Referent, der auch Bundesvorsitzender der Ackermann-Gemeinde ist. Ansonsten werde das Engagement Freiwilliger zum Handlangerdienst. Das Wesen des Ehrenamtlichen mache aber gerade aus, dass er sich aus freier Entscheidung, selbstbestimmt und selbstbewusst in die Gesellschaft einbringe.
Die Diskussion im Pfarrzentrum St. Sebald bestimmte dann vor allem Kritik an einer Tendenz, ehrenamtliche Arbeit zu bezahlen. So erhalten Freiwillige im Pflege- und Gesundheitsbereich mitunter regelrechte Stundensätze, die zwischen 6 und 8 Euro liegen. Weshalb Politik inzwischen sogar über die Frage des Mindestlohns im Zusammenhang mit Ehrenamt debattiert. Ehrenamtliche, die ihren Einsatz aus Idealismus leisten, sehen das natürlich kritisch. Martin Kastler wies allerdings aus seiner Erfahrung im Europaparlament – er gehörte ihm 2003 bis 2004 und 2008 bis 2014 an – darauf hin, dass viele andere Staaten ein Ehrenamt wie in Deutschland gar nicht kennen. So gebe es in Frankreich oder Tschechien zwar Freiwillige, die Feuerwehrdienste erbringen, allerdings gegen ein Honorar.