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"Wir brauchen wieder mehr von Vernunft geleitete ethische Abwägungen"

DOCAT-Interview
Datum:
Veröffentlicht: 6.3.18
Von:
Klaus-Stefan Krieger

Warum der KKV-Landesvorsitzende die Lektüre des DOCAT empfiehlt

Der katholischen Soziallehre eine Stimme in der Gesellschaft zu geben, ist dem KKV ein wesentliches Anliegen. Daher wirbt er für den DOCAT - ein Buch, das allgemeinverständlich Inhalte der Soziallehre darstellt. Karl Wiesmann vom KKV Kitzingen sprach mit dem KKV-Landesvorsitzenden Dr. Klaus-Stefan Krieger über den DOCAT. Lesen Sie hier das Interview!

Der katholischen Soziallehre eine Stimme in der Gesellschaft zu geben, ist dem KKV ein wesentliches Anliegen. Daher wirbt er für den DOCAT - ein Buch, das allgemeinverständlich Inhalte der Soziallehre darstellt. Rita Engert vom KKV Kitzingen sprach mit dem KKV-Landesvorsitzenden Dr. Klaus-Stefan Krieger über den DOCAT. Lesen Sie hier das Interview!

FRAGE: Was verbirgt sich hinter dem Begriff „DOCAT“ und wie ist diese außergewöhnliche Lektüre entstanden?

DR. KRIEGER: Vorbild ist der „Youcat“. Der vom Wiener Kardinal Schönborn mit Jugendlichen erarbeitete Jugendkatechismus wurde 2011 veröffentlicht. Er behandelt in Frage-Antwort-Form die grundlegenden Themen des Glaubens. Junge Menschen aus den USA wünschten sich dann zusätzlich ein Buch, das die Frage „Was sollen wir tun?“ beantwortet. Dadurch entstand der „Docat“ (von to do = tun; cat = Katechismus). Auch der damalige KKV-Bundesvorsitzende Bernd Wehner hat ein großes Verdienst, denn er forderte eine allgemeinverständliche Zusammenfassung der katholischen Soziallehre.

Wie ist die Soziallehre der Kirche entstanden?

DR. KRIEGER: Über ethische Fragen des Zusammenlebens haben Judentum und Christentum schon immer nachgedacht. Die Bücher Moses bzw. die Thora enthält ja auch einen Gesellschaftsentwurf. Jesus sieht seine Jünger und Jüngerinnen als Alternative zu einem von Macht und Unterordnung geprägten Gemeinwesen. Die Katholische Soziallehre im engeren Sinn entstand während der Industrialisierung. Auf die von ihr verursachte Not großer Bevölkerungsteile, v.a. der neu entstandenen Arbeiterschaft, reagierten auch Katholiken – die bekanntesten sind Bischof von Ketteler und Kolping. Sie ergriffen nicht nur praktische Gegenmaßnahmen, sondern dachten auch darüber nach, wie eine gerechte Gesellschaft aussehen und funktionieren könnte. 1891 veröffentlichte Papst Leo XIII. sein Lehrschreiben „Rerum novarum“, der Startschuss der päpstlichen Soziallehre.

Was sind die Aufgaben der Soziallehre? Was bringt sie den Menschen für ihren Alltag?

DR. KRIEGER: Die Soziallehre hat immer auf konkrete Probleme reagiert. Angefangen von der Verelendung des Proletariats über die Gefahr eines Atomkriegs oder die Armut und Verelendung der Entwicklungsländer bis hin zum Umweltschutz. Die Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus war ein starker Impuls für das Klimaabkommen von Paris 2015. Oder: Dass wir in Deutschland eine gesetzliche Absicherung für Krankheit, Pflege, Alter, Arbeitslosigkeit haben, verdanken wir gerade auch Politikern, die von der katholischen Soziallehre beeinflusst waren.

Wie hängen Soziallehre und Glauben zusammen?

DR. KRIEGER: Im Christentum sind Gottes- und Nächstenliebe aufs engste miteinander verbunden. Was ich glaube, spiegelt sich darin wider, was ich tue. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Bibel. Denken Sie nur an die Bergpredigt, das Gleichnis vom barmherzigen Samariter oder die Werke der Barmherzigkeit. Dabei geht es nicht nur darum, wie ich mich persönlich verhalte (Individualethik). Ebenso wichtig ist, wie Gruppen agieren, wie Gesellschaften organisiert sind und welche Entscheidungen in einem Staat fallen. Das kann sich am Gebot der Nächstenliebe orientieren oder auch grob dagegen verstoßen.

Überschreitet die Kirche nicht ihre Kompetenz, wenn sie sich zu sozialen Fragen äußert?

DR. KRIEGER: Die Kirche würde im Gegenteil ihr eigenes Wesen verfehlen, wenn sie sich sozusagen in der Sakristei einschließt. Die Propheten des Alten Testaments, Johannes der Täufer, Jesus – sie alle haben gesellschaftliche Missstände kritisiert; das ist ein elementarer Bestandteil ihrer Botschaft.

Wendet sich die Soziallehre der Kirche ausschließlich an Christen?

DR. KRIEGER: Seit Johannes XXIII. richten die Päpste ihre Rundschreiben zu sozialen Themen ausdrücklich auch „an alle Menschen guten Willens“. Die katholische Soziallehre will mit jedem ins Gespräch kommen, den gesellschaftliche Fragen umtreiben. Anders lassen sich soziale Probleme auch nicht bewältigen. In einer pluralen Welt müssen Menschen zusammenwirken, auch wenn sie eine unterschiedliche Ausgangsbasis oder verschiedene Überzeugungen haben.

Die katholische Soziallehre kennt vier Prinzipien: Das Prinzip des Gemeinwohls, der Personalität, der Solidarität und der Subsidiarität. Wie wirken die vier Prinzipien zusammen?

DR. KRIEGER: Seit einigen Jahren fügt man als 5. Prinzip noch die Nachhaltigkeit hinzu. Letztlich lassen sich alle auf die Personalität zurückführen, die Überzeugung, dass jeder Mensch von Gott geschaffen und geliebt ist und eine unantastbare, unverlierbare Würde besitzt.

Wie steht die Kirche im Zusammenhang mit dem Wandel in der digitalen Welt zu den sozialen Netzwerken?

DR. KRIEGER: Die Kirche sieht die positiven wie die negativen Seiten. Zum einen sind die sozialen Netzwerke ein hervorragendes Medium, damit sich Menschen über die Grenzen von Raum und Kultur hinweg begegnen und austauschen können. Es gibt aber auch die Gefahr einer neuen sozialen Spaltung zwischen denen, die sich ganz selbstverständlich im World Wide Web bewegen, und jenen, die aufgrund fehlender Kompetenz oder finanzieller Mittel keinen Zugang erhalten oder denen Regime oder Monopole den Zugriff verwehren.

Muss die Kirche jede technische Entwicklung mitmachen?

DR. KRIEGER: Auch hier gilt: Wissenschaft und Technik und ihre Weiterentwicklung sind in sich weder gut noch schlecht. Es kommt immer darauf an, wie der Mensch sie gebraucht. Und dafür gibt die Soziallehre Maßstäbe an die Hand.

In diesem Themenkreis gibt es noch viele Fragen zu Schöpfung, Umwelt, Moral, Frieden, Christsein usw. Wir freuen uns auf Sie in Kitzingen. Welche Botschaft ist Ihnen beim Vortragsabend besonders wichtig?

DR. KRIEGER: Ich habe den Eindruck, dass viele gesellschaftlich wichtige Diskussionen heute bevorzugt in einem Klima emotionaler Aufgeregtheit, unreflektierter Betroffenheit und gegenseitiger Schuldzuweisung geführt werden. Man kann das zeigen an den jüngsten Debatten um die Tötung auf Verlangen, die Ehe für gleichgeschlechtliche Partner, das Werbeverbot für Abtreibungen oder auch der Thematik rund um Flucht und Migration. Wir täten gut daran, uns wieder mehr im vernunftgeleiteten Austausch von Argumenten und in ethischen Abwägungen zu üben. Das kann man an der Soziallehre lernen. Und daher empfehle ich den „Docat“, da man hier kein Experte sein muss, um sich einzulesen.