Wirtschaftswissenschaftler setzt für Zukunft aufs Christentum

Stellvertretender Landesvorsitzender Erik Händeler im Interview mit KNA
«Das Christentum in Europa steckt in den Kinderschuhen, seine große Zeit liegt noch vor uns», war der einstige Pariser Kardinal Jean-Marie Lustiger überzeugt. Auch Erik Händeler (47), Wirtschaftswissenschaftler und Zukunftsforscher, sieht für das Evangelium in der Wissensgesellschaft neue Chancen. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach mit dem stellvertretenden bayerischen Landesvorsitzenden des Verbands KKV (Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung), über seine zuversichtliche Theorie.
KNA: Herr Händeler, die Digitalisierung und der mögliche Verlust von Arbeitsplätzen machen vielen Menschen Angst. Hilft jetzt nur noch beten?
Händeler: Nein, sondern gestalten. Die Arbeit geht uns nicht aus, sie wandelt sich jedoch und findet vorwiegend in der gedachten Welt statt. Hier gilt es aufgrund der Wissensflut Probleme zu lösen durch Planen, Organisieren und Beraten.
KNA: Was kommt auf jeden zu?
Händeler: Die Arbeit muss neu erschlossen werden, und jeder muss sich weiterentwickeln. Auch wenn Computer und Maschinen viel erledigen, wird es nach wie vor materielle Tätigkeiten geben. Doch selbst bei Handwerkern oder Landwirten steigt der Anteil der Arbeitszeit, in der sie nicht mit den Händen arbeiten.
KNA: Beispiele?
Händeler: Ein Fliesenleger verlegt nicht nur Fliesen. Er muss die Kunden über Farben, Design und Material beraten. Der Facharbeiter an der Maschine bekommt es auf einmal mit einem komplexen Problem zu tun, wenn er ein ihm unbekanntes Material bearbeiten soll. Da braucht er den Austausch mit anderen. Die Wissensarbeit steigt querbeet durch alle Berufe und Qualifikationsniveaus. Und da der Wohlstand von Produktivität abhängt, ist es wichtig, dass wir den Umgang mit Wissen produktiv hinkriegen. Neue Arbeitsplätze entstehen nicht dort, wo die Löhne niedrig sind, sondern dort, wo man ausreichend produktiv ist.
KNA: Wie soll bei diesem Übergangsprozess das Evangelium helfen?
Händeler: Der Wohlstand hängt in der Wissensgesellschaft vom Sozialverhalten ab. Eine Maschine kann ich weltweit kaufen, Kredit überall aufnehmen, das Wissen der Menschheit mir aus dem Internet holen, einen Spezialisten in Paris mieten. Das einzige, was den Unterschied macht, ist die Fähigkeit der Menschen vor Ort, mit Wissen umzugehen. Das bedeutet immer Umgang mit Menschen. Da kommt es auch zum Streit. Die Frage ist nun, wie dieser gelöst wird. Das hat mit Werten und Weltanschauung zu tun. Da wird das Christentum die Zukunftsreligion sein, weil hier der Einzelne zählt, aber das Universalethische auch. Das sehe ich sonst nirgends.
KNA: Was ist mit anderen Religionen?
Händeler: Eine Gruppenethik, wie sie in asiatischen Religionen gilt, ist nicht produktiv. Produktiv ist eine Gesellschaft dann, wenn die Leute sich von ihren Stärken her entfalten können, aber auch ein echtes Interesse am gleichberechtigten Wohlergehen der anderen haben. Das ist die Ethik des Evangeliums. Alle Kulturen müssen effizienter mit Wissen umgehen. Diese neuen Erfolgsmuster beißen sich aber oft mit alten Traditionen.
KNA: Wie sieht es im Islam aus?
Händeler: In islamischen Ländern geraten Machtstrukturen durch die neuen Zeiten unter Druck. Jeder kann sich jetzt selber informieren durch das Internet, mit dem Smartphone können sich junge Frauen und Männer leichter kennenlernen. Das setzt einem patriarchalen System zu. Der «Islamische Staat» (IS) ist letztlich eine wütende Gegenreaktion auf das neue Paradigma der Wissensgesellschaft, zurück in die alten Zeiten. Das wird aber nicht funktionieren.
KNA: Warum eignet sich das Christentum?
Händeler: Das Evangelium ist in Bezug auf Konfliktlösungen sehr deutlich. Hast du was gegen deinen Bruder, geh hin und berede es mit ihm, heißt es da. Sieben mal 77 Mal und mehr gilt es zu verzeihen. Oder der Hinweis, dass der Größte unter Euch dem anderen die Füße waschen soll. Wer Geschäfte macht, muss sich auf die Wahrhaftigkeit des anderen verlassen können. Wir können es uns einfach nicht leisten, nicht mehr miteinander zu reden, wenn es Streit gegeben hat.
KNA: Und die Säkularisierung?
Händeler: Selbst in einer säkularisierten Gesellschaft ist die Vorstellung von dem, was wichtig ist, geprägt von den religiösen Wurzeln. Die Globalisierung hat aber auch dazu geführt, dass sich alle Religionen ausbreiten. Zu uns wandern mehr Muslime ein, in Managerbüros stehen kleine Buddhas rum, das Christentum breitet sich in Asien aus, auch in der islamischen Welt. Der religiöse Wettbewerb wird nicht entschieden durch die Kalaschnikow oder durch Theologen, sondern über die Frage, wer besser Kooperationsfähigkeit herstellen kann.
KNA: Was heißt das für die Kirche?
Händeler: Als Kirche sollten wir als erste die neuen Erfolgsmuster der Wissensgesellschaft umsetzen. Leute, die in Kirchengemeinden engagiert sind und Verantwortung übernehmen, stehen auch im Beruf. In Großgemeinden kann man lernen, sich zusammenzuraufen und eine gute Streitkultur zu entwickeln. Bei Meinungsverschiedenheiten sollte das bessere Argument entscheidend sein, nicht Macht oder Persönliches. Allerdings braucht es auch einen klaren Verantwortlichen, der irgendwann sagt, dass jetzt entschieden wird.