Dienen statt herrschen
Normal ist: Der Mensch möchte möglichst viel bewirken, strebt also meist in irgendeiner Form Macht an: Über Ressourcen, Befehlsgewalt in Strukturen, über Menschen, Einfluss beim Chef. Zu herrschen ist kein Privileg der Führungskräfte, sondern partiell Bestandteil aller Arbeitsplätze, bis hin zur Macht des Pförtners, jemand auf seine liegengelassene Aktentasche hinzuweisen oder nicht. Der Unterschied zwischen dienen und herrschen besteht aus der Perspektive: Geht es um Interessen der eigenen Person, oder um überindividuelle Ziele? Je mehr in einer Organisation die Menschen Eigeninteressen verfolgen, umso höher werden die Reibungsverluste bei Auseinandersetzungen sein, weil sie eben nicht um bessere Gesamtlösungen geführt werden, sondern egoistische Interessen aufeinanderprallen. Je mehr sich Interessen einzelner Personen oder Seilschaften durchsetzen, umso weniger produktiv wird ein Unternehmen in seiner Gesamtheit sein.
Der „Chef“ (und im Prinzip jeder Mitarbeiter) muss sich gegebenenfalls mit seiner Meinung und seinen Vorstellungen „zurücknehmen“, wenn es für die Ziele des Unternehmens erforderlich ist. Das bedeutet auch, seine Meinung dem Gesamtinteresse „unterzuordnen“, im Sinne von: Einordnen. „Dienen“ bedeutet, sich gegenseitig in seiner Aufgabe zu unterstützen. Für den „Chef“ heißt das: Den Mitarbeiter sich entfalten lassen. Umgekehrt bedeutet dienen für die Mitarbeiter, den „Chef“ in seiner Führungsrolle anzuerkennen, ihn in seiner Entscheidungsfindung zu helfen und ihn zu ermuntern, sich selbst zurückzunehmen, damit der formal untergeordnete, aber fachlich überlegene Mitarbeiter seine Kompetenzen optimal einbringen kann.
Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt berichtet, die ihm am häufigsten gestellte Frage von jungen Abgeordneten sei, wie er seine Karriere geplant habe. Dabei hatte er nie an seine Karriere gedacht, sondern daran, wie er einen dritten Weltkrieg verhindern könnte. Erfolgreiches Wirken ist dann die Folge davon, übergeordnete Ziele zu verfolgen. Der Chef muss sich bewusst sein, dass seine Führung dem Wohl des Unternehmens und seiner Mitarbeiter „dienen“ muss (soweit deren Wohl dem ausbalancierten Gesamtnutzen dient).
Wenn das Prinzip „dienen“ sich unter dem ökonomischen Druck der Wissensgesellschaft herausbildet hat, wird es auch auf andere Bereiche der Gesellschaft abfärben, in Politik und Familie.